Teilnahme an Studien: Notwendigkeit und Bedingungen

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Soll an klinischen Studien teilgenommen werden? Was muss bei einer Studienteilnahme beachtet werden?

Klinische Studien sind das Herzstück der medizinischen Forschung. Studien liefern die praktische Erfahrung, hochgestochen ausgedrückt, die empirische Evidenz für eine Behandlung. Denn Behandlungen und Theorien mögen auf dem Papier hervorragend aussehen, doch sie müssen auch in der Realität funktionieren. Beispielsweise die Argumente des Aderlassens mögen plausibel und hilfreich tönen, doch in Tests wurden die Theorien nicht bestätigt.

Unsicherheiten über Behandlungen können durch Studien geklärt werden. Ist die Behandlung A oder B besser? Und bei Alten Leuten?

Die Teilnahme an klinischen Studien ist wichtig! Studien bringen die Wissenschaft voran. Es ist geradezu eine Bürgerpflicht an Studien teilzunehmen.

Damit Studien effektiv sind, müssen aber wissenschaftliche und ethische Kriterien erfüllt sein. Eine Überprüfung können und müssen die Studienteilnehmer machen. Auch in ihrem eigenen Interesse.

Welcher Studienteilnehmer will schon, dass beispielsweise seine durchgeführte Studie nach Abschluss einfach in der Schublade verschwindet? Also, ohne den geringsten Beitrag zur Wissenschaft. Das ist leider kein hirnrissiges Beispiel, sondern traurige Realität. Denn die Hälfte aller Studien wurden und werden noch immer nicht veröffentlicht. Sie verschwinden einfach. Die Antwort auf die Unsicherheit ist da, aber womöglich passte sie dem Auftraggeber nicht. Oder es ist schlicht Faulheit des Forschers, wenn die Resultate vermeintlich für die Karriere zu wenig nützlich sind.

Eine Studie muss relevant sein. Die Forschungsfrage muss noch offen sein und nicht bereits geklärt. Nur so leistet eine Studie einen nützlichen Beitrag.

Im Leben gibt es Fragen über Fragen. Die Zeit reicht nie um alle zu beantworten. Wichtige Fragen müssen deshalb zuerst untersucht werden. Forschungsfragen müssen für Studienteilnehmer nachvollziehbar und für die Patienten nützlich sein. Studien ohne praktische Relevanz, beispielsweise nur zu Marketingzwecken, sind pure Verschwendung.

Vor einer Studienteilnahme sollten deshalb unbedingt folgende Bedingungen erfüllt sein:

  1. Das Studienprotokoll muss ordentlich in einem öffentlich zugänglichen Studienregister eingetragen sein.
  2. Das Studienprotokoll muss Bezug auf systematische Übersichtsarbeiten bereits vorhandenen Wissens (systematic reviews of existing evidence) nehmen, die zeigen, dass diese Studie notwendig ist.
  3. Eine schriftliche Garantie bekommen, die sagt, dass alle Studienresultate nach Abschluss veröffentlicht werden und alle Studienteilnehmer die Studie erhalten werden, wenn sie es wünschen.
  4. Im Falle von Pharmastudien, eine schriftliche Garantie vom Pharmaunternehmen bekommen, dass (a) das finanzielle Risiko durch unerwünschte Nebenwirkungen übernommen wird und (b) insbesondere die Beweispflicht nicht beim Patienten liegt, sondern ein Zusammenhang vom Studienorganisator ausgeschlossen werden muss (Beweisumkehr).1

Beim dritten Punkt, wäre es noch besser, wenn die Veröffentlichung der Studienresultate für alle frei verfügbar ist, also Open Access ist.

Um es für Studienteilnehmer einfach zu machen, habe ich die obigen Bedingungen in Fragen umgewandelt, die eins-zu-eins vor Studienbeginn gefragt werden können:

  1. In welchem Studienregister ist diese Studie eingetragen? (wie dies von der Wissenschaft gefordert ist)
  2. Was ist der Stand des bereits vorhandenen Wissens? Was ist die Aussage der systematischen Cochrane Übersichtsarbeiten?
  3. Können sie mir die schriftliche Bestätigung geben, dass alle Studienresultate nach Abschluss veröffentlicht werden und ich den fertigen Forschungsartikel erhalten werde.
  4. Können sie mir die verbindliche Bestätigung der Leitung geben, dass ich (a) im Falle von finanziellen Schäden in Folge der Studie, z.B. Invalidität, entschädigt und (b) eine Zusammenhang plausibel begründen, nicht jedoch formal juristisch beweisen muss (Beweisumkehr).

Falls man keine Garantien für den 4. Punkte erhält und trotzdem bzw. unbedingt an der Studie teilnehmen will, sollte man sich selbst genügend finanziell, z.B. in Form einer Rechtsschutzversicherung, absichern.

Fazit

Die Teilnahme an klinischen Studien ist wichtig. Die Voraussetzungen für gute Forschung müssen aber erfüllt sein und das finanzielle Risiko der Patienten in Folge der Studie muss vom Organisator getragen werden. Jeder Studienteilnehmer sollte diese vier Punkte – in seinem Interesse – sicherstellen. Die oben formulierten, einfachen Fragen machen die Überprüfung der minimalen Studienvoraussetzungen einfach.

Referenzen

Dieser Artikel baut auf der Folie (Position 20:00) des Vortrages von Iain Chalmers auf. Sir Dr. Iain Chalmers ist Gründer der Cochrane Collaboration und Koordinator der James Lind Initiative.

Offenlegung

Ich habe bisher an zwei Studien teilgenommen, einer psychologischen und einer zur Blutuntersuchung. Die Studienresultate der zweiten kenne ich noch nicht und muss dieser einmal nachgehen.

Überarbeitung

[Aktualisierung 24.08.2013: Das finanzielle Risiko als 4. Punkt aufgenommen. Als Studienteilnehmer ist das ein sehr relevanter Punkt. Er wurde im Kommentar unten angeregt. In der Schweiz ist es leider so, dass die Beweispflicht beim Patienten/Studienteilnehmer liegt und ein solcher formal juristischer Beweis praktisch unmöglich ist, wie der Beobachter in seinem Artikel dargestellt hat.1]

[Aktualisierung 12.10.2013: Interview mit Margit Kessler zu Studienteilnahmen: «Ich empfehle jedem Teilnehmer, eine Versicherung abzuschliessen», Tages-Anzeiger, 12. Okt. 2013]

[Aktualisierung 22.10.2013: Die Deklaration von Helsinki wurde soeben überarbeitet. Die Deklaration von Helsinki (DoH): Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects wird von der World Medical Association (WMA), dem Weltärztebund erlassen. Die Deklaration von Helsinki regelt die medizinische Forschung mit Menschen. Ich habe einen Artikel geschrieben, der die alte und die neue Version vergleicht.]


  1. Hostettler O, Klinische Versuche: Tests mit Nebenwirkungen. Beobachter, 28. Jan. 2013; Nr 2. ↩︎ ↩︎

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